Um Urgetreide ranken sich viele Mythen und Halbwahrheiten. In diversen Ernährungsweisen werden die alten Getreidesorten als gesundheitlich wertvoller als moderner Weizen angesehen. Sogar Bezeichnungen wie Superfood werden oft genutzt. Wir beleuchten in diesem Beitrag, an welchen Aussagen etwas dran ist und ob es sich lohnt, Urgetreide in eine ausgewogene Ernährung zu integrieren.

Begriffsdefinition Urgetreide

Der Begriff Getreide beschreibt an sich erst einmal nur verschiedene kultivierte Pflanzen, die zur botanischen Familie der Süßgräser (Poaceae) gehören. Dabei ist der wichtigste Punkt, dass deren Samenkörner weiterverarbeitet und verzehrt werden können. Neben den Klassikern wie Weizen oder Roggen zählen auch Reis und Mais zu den Getreiden.

Was genau Urgetreide genannt werden darf und was nicht, ist allerdings nicht klar definiert, da der Begriff nicht rechtlich geschützt ist. In alternativen Ernährungsweisen wie beispielsweise dem Paleo-Konzept oder der Vollwertkost werden allerdings immer jene Getreidesorten als Urkorn bezeichnet, bei deren Zucht der Mensch nur wenig eingegriffen hat. Auf deren Besonderheiten wollen wir später noch genauer eingehen.

Ein Feld mit Weizenähren im Sonnenuntergang

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Warum sind alte Getreidesorten in Vergessenheit geraten?

In die Weiterentwicklung und Kultivierung von Weizen, Roggen und Gerste wurde mehr Zeit und Geld investiert als in andere Getreidesorten. Das liegt daran, dass sie günstigere Backeigenschaften mitbringen, auf den Feldern höhere Erträge einfahren sowie resistenter auf Krankheiten und Umwelteinflüsse reagieren. Dieser Punkt ist in Anbetracht der Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung auch durchaus als positiv zu bewerten.

Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Winterweizen erbringt einen Ertrag von bis zu 3.200.000 Tonnen je Hektar – über drei Millionen Tonnen! Einkorn und Emmer bringen auf der gleichen Anbaufläche dagegen nur bis zu 1000 Tonnen Ertrag ein.

Laut dem Saatgutverkehrsgesetz von 1985 muss eine Getreidesorte zugelassen sein, um in den gewerblichen Vertrieb gelangen, sprich angebaut und verkauft werden zu dürfen. Diesen Sortenschutz erhalten nur jene Sorten, die bestimmte Vorgaben erfüllen und vereinfacht gesagt ähnlichen Getreidesorten überlegen sind. Die Verdrängung durch moderne Getreidesorten hat also vor allem damit zu tun, dass Urgetreide ertragsärmer, pflegeintensiver sowie schwieriger zu verarbeiten und damit teurer sind.

Ein Feld mit Gerste

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Warum gewinnen sie wieder zunehmend an Bedeutung?

Wer sich heutzutage über Urkorn informiert, hört an vielen Stellen, dass die Natürlichkeit und Ursprünglichkeit sowie auch die Bekömmlichkeit und der Nährstoffgehalt von diesen alten Sorten dem zucht-optimierten Weizen weit überlegen sein sollen. Wissenschaftlich bestätigt sind diese Aussagen nur teilweise. Im Folgenden haben wir darum eine Aufzählung an bestätigten Fakten für Sie zusammengetragen, an denen Sie sich auf jeden Fall orientieren können.

Nährstoffe in Urgetreide

In manchen Urgetreiden sind gewisse Nährstoffe in höheren Mengen enthalten als in beispielsweise Weizen. Deshalb wird Weizen in manchen Ernährungsweisen eher gemieden und als “leeres” Nahrungsmittel angesehen.. Das stimmt nicht in jedem Fall, denn Weizen hat durchaus auch seine Nährstoffe im Korn. Dennoch haben die alten Getreidesorten in bestimmten Punkten die Nase etwas vorn.  Wenn Sie also Wert auf bestimmte Nährstoffe legen, sollten Sie vielleicht folgende Urgetreide probieren, die jeweils den höchsten Anteil aufweisen (Angaben pro 100 g unverarbeitetem Korn, der Wert in der Klammer zeigt einen direkten Vergleichswert zu 100 g Weichweizen):

  • Ballaststoffe: Khorasan 12 g (10 g)
  • Eisen: Dinkel 8,2 g (3,4 g)
  • Eiweiß: Einkorn 15,9 g (11,4 g)
  • Energie: Dinkel 348 kcal (328 kcal)
  • Fett: Dinkel 2,9 g (2,4 g)
  • Gluten: Emmer 10,1 g (8,3 g)
  • Kohlenhydrate: Dinkel 62,5 g (59,5 g)
  • Kalium: Khorasan 480 g (337 g)
  • Vitamin E: Emmer 3,44 mg (1,4 mg)
  • Zink: Dinkel 3,7 g (2,6 g)
  • Vitamin B2: Dinkel 0,15 mg (0,9 mg)
  • Vitamin B6: Hirse 0,52 mg (0,27 g)

Wie Sie sicherlich bemerkt haben, sind die Unterschiede gar nicht so groß, wie man vielleicht zunächst erwarten würde. Wird ein Korn verarbeitet, müssten die Werte zudem streng genommen nochmals verkleinert werden. So oder so empfiehlt es sich aber auf jeden Fall, bei egal welchem Getreide, zu Vollkornerzeugnissen zu greifen. Denn hier sind die Nährstoffe generell deutlich höher.

Übrigens: Welche Nährstoffe in welchen Mengen für Sie Sinn machen, ist sehr individuell und sollte regelmäßig durch den Hausarzt oder einen Facharzt mithilfe eines Blutbildes überprüft werden. Urkorn-Brot allein macht keinesfalls eine ausgewogene Ernährung aus und sollte mit anderen, möglichst unverarbeiteten Lebensmitteln verzehrt werden, um zu Ihrer Gesunderhaltung beizutragen.

Urgetreide und Gluten

Die wichtigste Information vorab: Die meisten Urgetreidesorten, die botanisch zu den Süßgräsern (Getreiden) zählen, enthalten Gluten! Damit sind sie komplett ungeeignet für die Ernährung von Menschen, die tatsächlich an Zöliakie (Glutenunverträglichkeit) leiden. Glutenfreie Urgetreide-Sorten sind z.B. Teff und Hirse. Auch Mais und Reis zählen zu den Getreidesorten, die bereits seit vielen Jahrhunderten fester Bestandteil in der Ernährung vieler Menschen sind.

Manche Menschen, die lediglich empfindlich auf Gluten reagieren, scheinen allerdings Gebäcke aus Urgetreide besser zu vertragen. Der Grund: Viele Bio-Bäckereien nutzen für Brote mit Urgetreide häufig eine längere Teigführung. Das kann sie für gluten-empfindliche Menschen tatsächlich attraktiver machen. Die bessere Verträglichkeit liegt somit also meist an der Teigführung und nicht daran, welches Getreide für das Mehl verwendet wurde.

Sie sollten unbedingt vorab mit Ihrem behandelnden Arzt sprechen, wenn Sie sich unsicher sind, ob und wie viel Gluten Sie vertragen. Alternativ können Sie zu sogenannten Pseudogetreide greifen. Diese teils auch seit Jahrhunderten bekannten Lebensmittel zählen botanisch nicht zu den Urgetreidesorten, enthalten aber gerade deshalb kein Gluten. So können Sie guten Gewissens zu Quinoa, Amarant und Buchweizen greifen. Wollen Sie mehr zu diesen Mehlen wissen? Dann empfehlen wir Ihnen diesen Beitrag über Mehlsorten.

Urgetreide im Bio-Landbau

Extensiv bewirtschaftete Böden können durch den Anbau mancher Urgetreidesorten wieder nutzbar gemacht werden. Zum Beispiel wird Einkorn gern verwendet, um den Acker für den Anbau von Gemüse vorzubereiten. Im ökologischen Landbau, vor allem in der Permakultur, dient Urgetreide auch zur Erhaltung der Artenvielfalt. Es wird gezielt eingesetzt, um in Symbiose mit anderen Pflanzen die Nährstoffe im Boden optimal zu nutzen.

Auch die Anspruchslosigkeit und natürliche Krankheitsresistenz mancher Urgetreide kommt der Bio-Landwirtschaft gelegen. So gedeiht zum Beispiel Waldstaudenroggen auf sehr kargem Boden und ist nicht frostempfindlich. Emmer wiederum ist aufgrund seiner großen Halmlänge weniger anfällig für Schädlinge und Krankheiten.

Jedoch haben ökologische Landwirte mit gänzlich anderen Umständen zu kämpfen, als mit modernen Getreidesorten. Beispielsweise befallen Emmer zwar weniger häufig Krankheiten, dafür sind die langen Halme anfällig für Wind und brechen leichter ab. Außerdem braucht gesäter Emmer recht lange zum Sprießen, was Bei- und Unkräutern vor allem im biologischen Anbau viel Spielraum gibt. Es braucht also für eine erfolgreiche Ernte viel Balance und Know-how.

Auf einem Leinentuch liegen einige Ähren von Urgetreide und ein aufgeschnittenes Brot.

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Backen mit Urgetreide-Mehl

Lassen sich in allen Rezepten Mehle eins zu eins mit Mehl aus Urgetreide ersetzen? Die kurze Antwort lautet: Nein! Wie erwähnt sind die Backeigenschaften von Urmehlen (bis auf Dinkel) nicht ganz so ideal im Vergleich zu optimiertem modernen Getreide. So werden z.B. Gase, die für die Blasenbildung und Fluffigkeit des Teiges verantwortlich sind, nicht gut gehalten. Das nicht so gute Klebereiweiß lässt Teige zu zäh werden oder gar nicht richtig zusammenhalten. Es braucht also sehr viel Erfahrung, um aus Urgetreide-Mehlen Backwaren zu zaubern.

Zum Einmischen und Aufwerten von Teigen eignen sich Urgetreide-Mehle und -Körnern allerdings hervorragend. Dabei fällt der Anteil an Urmehl meist eher gering aus und Weizen sowie Dinkel machen den Hauptmenge aus. Das lässt sich einfach auf der Zutatenliste nachlesen. Die Anordnung der Zutaten auf solch einer Übersicht erfolgt übrigens immer nach prozentualem Anteil. Wenn also Weizenmehl ganz vorn steht, ist am meisten Weizen im Brot enthalten.

Fazit: Sind Urgetreide ein sinnvolles Superfood?

Urgetreide haben durchaus einige nennenswerte Eigenschaften, um sich ihren Platz in den Regalen zurück zu verdienen. Aber auch einige Nachteile, die sich zum Beispiel in Preis und Angebotsvielfalt widerspiegeln, gilt es im Hinterkopf zu behalten. Vielleicht ist Urgetreide kein Superfood in dem Sinne, aber eine leckere Alternative für mehr Abwechslung auf Feldern und Tellern. Wir empfehlen darum, hin und wieder verschiedene Sorten Urgetreide in Ihre ausgewogene Ernährung zu integrieren. Das bringt Abwechslung in Ihren Speiseplan und unterstützt eine artenreiche Bio-Landwirtschaft.

Quellen

www.initiative-urgetreide.de/
www.bzfe.de